Dienstag, 4. Juli 2017

Die Angst vor dem Sturm

Das Dorf Afissos am pagasitischen Golf

Ruhiges Wasser (Vor dem Sturm)

Nach den heißen letzten Tagen musste sich etwas ändern. "Es wird Regen geben," sagte Apostolos. Adonis meinte, dass erst der Wind kommt und dann der Regen.
der gestrige Montag wurde auf einmal kühl und das abendliche Bad im Meer wurde fast ein Schock. DasWasser war kalt, bestenfalls noch 23 Grad und nach den Temperaturen der vergangenen Tage empfand man das fast als eisig. Aber immerhin erfrischender.
Der ganze Tag war windig und am Abend legte der Wind noch einmal zu. Auf einer kleinen Radtour nach Koropi hatten wir heftig mit Gegen- und Seitenwind zu kämpfen.
Am späten Abend wurde dann der Wind zu einem mittelprächtigen Sturm. Würde unsere Markise diesen Kräften gewachsen sein? Bis 23 Uhr harrten wir aus und das Zerren der Windsbräute an unsrem Gestänge zerrte auch immer mehr an unseren Nerven. Wir gaben auf und bauten die ganzen Aufbauten ab.
In dem guten Bewußtsein, dass nun der Sturm uns und unserem Vorbau nicht mehr anhaben konnte, schliefen wir beruhigt ein.

Die Furcht vor dem Sturm, vor allem, wenn es ablandig von den Bergen kommt, hat eine Vorgeschichte und die will ich hier einfügen.


Sturm


Einmal gab es den Tag des schlimmen Unwetters, der der Familie in immer währender Erinnerung blieb. War es das Jahr 1984 oder 85. Da bin ich mir nicht mehr sicher. Es spielt auch eigentlich keine Rolle.
Der pagiasitische Golf war ruhig wie meist. Der Nachmittagswind baute ein paar Wellen auf, der Wind war so, dass ich, damals noch eifriger Surfer, das Brett aufriggte und auch Ildikos High Fly bereitmachte. Beide begaben wir uns aufs Wasser, ich etwas flotter mit Trapez und Sechser-Segel, sie maßvoll mit geringerer Besegelung. Der Wind war so, dass wir leicht aus der Bucht kamen und von See aus den weiten Blick auf die langgestreckten Bergrücken des Pilion auskosten konnten. Allerdings gefielen mir die tiefschwarzen Wolken nicht, die über den Kamm quollen, doch noch gab es keinen Anlass, Schlimmes zu erwarten. Der Wind ließ allerdings nach und es gab so eine seltsame Stille, die man im Nachhinein als die Ruhe vor dem Sturm benennen konnte. Der brach denn auch sehr plötzlich, unerwartet und gewaltig los. Ich war an Land, Ildiko noch auf See, als es zu dröhnen begann. Das Wort dröhnen passt im Allgemeinen nicht zu einem Sturm, doch hier traf es zu. Es war, als hätten sich Dutzende schwerfälliger Güterzüge auf den Bergspitzen versammelt, um nun auf einmal mit Ohren betäubendem Brausen, Rumoren, Donnern und eben auch Dröhnen zu Tal zu rasen. Sie fuhren in das Astwerk der Olivenhaine, peitschten die Zweige, wirbelten Staub und kleine Steine auf, jagten über die Straßen, zerzausten die Zelte des Camper, verbogen Gestänge, rissen Heringe aus dem trockenen Boden und schoben die Wassermassen von Strand weg meerwärts. Es war ein Inferno, das den Atem stocken ließ und wenn tatsächlich sich Schreie aus den Kehlen lösten, so verklangen sie unhörbar in dem Gebrüll der unablässig zu Tal rasenden Güterzüge.
Später, nachdem das Unwetter zehn Stunden lang gewütet hatte, erfuhr man, dass eine Unwetterwarnung an die ganze Küste ergangen war, diese aber, weil die Katastrophe zu schnell hereinbrach oder entsprechende Stellen zu nachlässig-griechisch reagierten, die wenigsten Mensch erreicht hatte. Als das Meer am nächsten Morgen wieder still war, der Himmel so blau, als könne er keiner Fliege etwas zu Leide tun, zählte man neun Tote, zahlreiche Vermisste, gekenterte Fischer- und gestrandete Motorboote, zerfetzte Zelte, demolierte Wohnwagen und eine Unzahl verschreckter Urlauber und verängstigter Kinder. Wir überstanden das Inferno leidlich. Ildiko, die beim Ausbruch des Sturms noch uferfern auf ihrem Surfbrett stand, ließ, als der Wind ablandig zu heulen begann, ihr Brett los und versuchte, Land zu gewinnen. ichversuchte, mehr tauchend als schwimmend, ihr entgegen zu kraulen, musste aber sehr bald einsehen, dass er in dem Wassergetöse keine Chance hatte. Ein beherzter Bootseigner, der sah, in welchen Schwierigkeiten sich Ildiko befand, schwang sich in sein Boot, erreichte sehr schnell die verzweifelt Schwimmende, zog sie an Bord und übergab sie den beiden weinenden Kindern. Als geübter Schwimmer schaffte ich es allein zurück. „Das Surfbrett, was ist mit dem Brett und dem Segel?“ wagte ich zu fragen, doch mehr als einen verständnislosen Blick hatte man nicht für mich übrig. Vielleicht hatte man die überflüssige Frage im dem Gebrüll des Sturmes auch gar nicht gehört.
Wir besaßen damals einen Mitsubishi L 300-Kleinbus, den wir zu einem Wohnmobil mit Aufstelldach, provisorischer Küche und Schlafplätzen für die Kinder hatten ausbauen lassen. Im Vergleich zu dem, was heute an Mobilheimen über die Straßen rollt, war diese Urlaubskutsche ein Schneckenhaus, genügte aber den bescheidenen Ansprüchen, da wir auf dem Camping Hellas International-Areal für den Aufenthalt ein Steilwandzelt errichtet hatte, in dem die Kinder schlafen, Ildiko kochen und ich allen Krempel lagern konnte.
Als Ildiko gerettet, die Kinder ein wenig beruhigt und ich das väterliche Zepter wieder übernommen hatte, zogen wir uns nach kurzer Beratschlagung in das Innere des L 300 zurück. Für das Zelt war nichts zu tun, da konnte man nur hoffen, dass der Sturm es überleben ließ. Aber im Inneren des kleinen Wohnmobils schien es leidlich sicher zu sein, zumindest konnten die Blitze, die jetzt in eiligster Folge den Himmel erhellten, ihnen im Faraday’schen Käfig nichts anhaben.  Was aber es bedeutete, einen Abend und eine Nacht schlaflos in einem wie von Riesenfäusten traktiertem beengten Raum zuzubringen, selbst vor Beklemmung am ganzen Leibe zitternd, eine schluchzende Frau und zwei angstschlotternde Kinder im Nacken. Man kann sicher verstehen, dass diese zehn Stunden mir mit als die schlimmsten in meinem Leben nie aus dem Kopf gingen. Wie oft noch berichtete ich, wie das kleine Fahrzeug bebte, wie Äste, Zweige, vielleicht sogar Steine auf das Dach schlugen, wie es prasselte und grollte und wie immer wieder dieses hässliche überlaute Heulen und Pfeifen der Sturmböen alles andere übertönte. Wir hatten unsere Kinder nie im christlichen Glauben erzogen und auch mir und Ildiko war Gott nie ein Anker gewesen, umso überraschter war ich, als er den Nachwuchs auf einmal beten hörte: „Lieber Gott, mach, dass der Sturm aufhört und wir heil davonkommen.“ Unsere Tochter schickte solche Fürbitten gen Himmel und der vier Jahre jüngere Spross schloss sich dem an: „Ja, lieber Gott, hilf uns, dann will ich auch alles tun.“ Trotz aller Ängste empfand ich eine tiefe Rührung und in einem Anfall tiefster Gefühlsaufwallung nahm ich meine Frau in die Arme und umklammerte meinen beiden Kinder. „Es wird alles gut werden!“ sagte ich und war von meinen Worten überzeugt, ohne zu wissen, woher diese Überzeugung herrührte. Vielleicht, sagte ich mir, gibt es ja doch einen Gott.
Am nächsten Morgen war alles vorbei. Tiefblau wölbte sich ein blauer Himmel über dem spiegelglatten Meer und die Berge zeichneten ihre Umrisse wie mit spitzem Bleistift gezogen in den Äther.



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